Dienstag, 6. Mai 2014

Görlitz




So viel habe ich heute erlebt, dass ich kaum weiß, wo ich anfangen soll! Ich probiere es einfach mal in chronologischer Reihenfolge. 
Bereits beim Frühstück hat mich ein älterer Herr (mit Frau und zwei Töchtern, so in meinem Alter), aufgewachsen in Görlitz, ins Gespräch gezogen. Lustig war, dass er meine Antworten auf seine Fragen absolut nicht wahrgenommen hat, so dass sich ein recht einseitiges "Gespräch" entwickelt hat. Seine Töchter haben nur noch die Augen verdreht.
Um 10 Uhr habe ich mich dann einer Führung durch die Altstadt von Görlitz angeschlossen. So eine Führung steht und fällt ja mit dem Führer (darf man das so schreiben?) und da hatte ich heute wohl besonderes Glück. Frank Vater erwies sich nicht nur als ausgesprochener Kenner der Görlitzer Geschichte, der Görlitzer Häuser und Restaurants und manchen besonders ansprechenden Treppenaufgangs, er hatte  auch ein Buch über Görlitz alte Häuser geschrieben und hatte zudem und vor allem die Fähigkeit, die skurrilsten Geschichten und Vorschläge mit einem bierernsten Gesicht zu erzählen!
So forderte er uns auf, in jedes offene Fenster zu schauen, jede unverschlossene Tür zu öffnen um die Schätze Görlitz zu entdecken oder den Gastwirten zu erklären, wir planten eine Hochzeit (zur Not auch eine goldene) um von den Gastwirten die schönsten Zimmer gezeigt zu bekommen. 
Es war wirklich eine reine Freude ihm zuzuhören und manchmal musste ich mich sehr beherrschen, um nicht laut zu prusten (ist mir nicht immer gelungen). Auf solch unterhaltsame Weise habe ich selten so viel gelernt, vielleicht noch bei unserem Reiseleiter Lu in China, das war ein ähnlicher Typ.


So weiß ich jetzt, dass Görlitz in den vielen Kriegen und Scharmützeln nicht zerstört wurde, weil sie immer wieder bezahlt hat (als Stadt an der Kreuzung wichtiger Handelsstraßen und mit vielen Privilegien ausgestattet war sie sehr reich) oder weil sie ihr Fähnchen nach dem Wind hing (so wechselte die Stadt innerhalb weniger Jahre sechs mal die Konfession, das galt dann immer für die ganze Stadt).
Außerdem mahlen in Görlitz die Mühlen wohl etwas langsamer als anderswo, eine Entscheidung, die in weniger als 100 Jahren gefällt wird, gilt als hektisch, so erledigt sich manches Problem von selbst.
Da ich von der Führung so begeistert war beschloss ich, mir auch das Buch zu kaufen und sofort heim zu schicken. Fündig wurde ich im Tourist-Büro und fragte nach einem Laden, wo ich Briefmarken und einen großen Umschlag erstehen könne, ich wolle das Buch heim schicken, da ich zu Fuß unterwegs sei. Daraufhin entspann sich ein überaus nettes Gespräch, in dessen Verlauf ich den Eindruck hatte, die Dame würde am liebsten gleich mitlaufen.
Am Ende des Gesprächs lag mein Buch jedenfalls fertig verpackt, adressiert und mit Briefmarke versehen auf dem Postausgangskorb des Ladens.


Da auch das Rathaus einen Besuch lohnen sollte, führte mich mein nächster Weg dort hin. Besonders interessant fand ich den Paternoster, der aber leider nicht fuhr.


Kaum hatte ich dieses Foto gemacht sprach mich ein Mann, so etwa mein Alter, an, um mir genau die Funktionsweise eines Paternosters zu erklären. Als ich meinte, auch im Stuttgarter Rathaus gäbe es noch einen, strahlte er mich an, gab mir einen Kuss auf die Wange und fragte, ob er mich zu einem Kaffee einladen dürfe. Allerdings sei er nicht so schnell, er sei teilweise gelähmt. Leicht überrascht willigte ich ein. Als wir das Rathaus eben verlassen wollten, fuhr ein dicker Benz vor und mein Kavalier stellte mir den Oberbürgermeister von Görlitz vor. Nach einem kurzen "Shake - Hands" mit Herrn Deinege (wohl ähnlich überrascht wie ich) führte mich Markus (das wusste ich inzwischen) in ein nahe gelegenes Cafe. Dort erfuhr ich, dass er jeden Tag einige Stunden im Rathaus arbeitet und dass er ausgerechnet heute eine Reise nach Stuttgart vorbereitet hatte (er zeigte mir die Reiseplanung der DB als Beweis), deswegen seine Überraschung und Freude. Nach angeregter Plauderei verließ ich eine knappe Stunde später das Cafe und Markus, nicht ohne wiederum einiges Neue über Görlitz und auch den Stadtführer vom Morgen (Markus kannte wirklich Gott und die Welt) erfahren zu haben und mit einem weiteren freundlichen Küsschen verabschiedet worden zu sein!


Anschließend bummelte ich ein wenig durch die Neustadt, wo mir besonders die vielen leer stehenden Läden auffielen. Ich kletterte auf den Reichenbacher Turm und genoss die tolle Aussicht, besuchte das kulturhistorische Museum mit seiner wundervollen Sammlung alter Bücher  


und zum Schluss auch noch das schlesische Museum im Schönhof, das in einem - wie der Name schon sagt - wunderschönen Gebäude untergebracht ist.


Zufällig hatte ich am Morgen an der Peter - und Paulkirche gelesen, dass dort abends die Sonnenorgel demonstriert und erklärt werde und das wollte ich mir selbstverständlich auch nicht entgehen lassen. Hier traf ich meine beiden Pilger von gestern wieder und gemeinsam lauschten wir der beeindruckenden Vorführung.


Jetzt war dann aber genug mit Kultur, ich fand ein nettes Restaurant (von denen es hier etliche gibt) und durfte während meines sehr leckeren Abendessens den Streit eines Paares mitverfolgen, dass sich immer weiter in ein ernsthaftes Zerwürfnis hinein diskutierte.
So war dieser Tag wieder randvoll mit beeindruckenden und auch überraschenden Erlebnissen und von Görlitz bin ich restlos begeistert!


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